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Interview: Vorzeitige Wehen - Oft helfen Entlastung und Zuwendung

Vorzeitige Wehen sind oft ein Hinweis, dass Schwangere unter großem Druck stehen. Deshalb sollte man schauen, welches eigentliche Problem hinter den Wehen steckt. Ein Gespräch mit Dr. med. Martina Rauchfuß, Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe sowie für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie.

Frau Dr. Rauchfuß, wie kommt es, dass in Deutschland etwa zehn Prozent der Schwangeren vor der 37. Schwangerschaftswoche ihr Kind bekommen?

Das hat sehr verschiedene Ursachen. Heute können zum Beispiel Schwangerschaften gerettet werden, die früher mit einer Fehlgeburt endeten. Außerdem ist die Zahl der Frühgeburten durch die Möglichkeiten der künstlichen Befruchtung gestiegen. Bei einer künstlichen Befruchtung treten häufiger Mehrlingsschwangerschaften auf, und die Kinder kommen dann oft vor der 37. Schwangerschaftswoche zur Welt. Darüber hinaus gibt es viele weitere körperliche und seelische Faktoren, die mit vorzeitigen Wehen und einer Frühgeburt im Zusammenhang stehen.

Wie groß ist die Bedeutung von Infektionen für die Entstehung von Frühgeburten?

Es ist wichtig herauszufinden, was die Infektionen auslöst. Stresshormone im Körper bewirken zum Beispiel eine höhere Anfälligkeit für Infektionen. Sie vermindern die Durchblutung und beeinflussen das vegetative Nervensystem. Durch biologische, psychologische oder soziale Faktoren können sich solche stressbedingten Gefäß- und Hormonveränderungen ergeben. So werden Infektionen leichter möglich, die dann eine Frühgeburt provozieren können.

Woran lässt sich erkennen, dass es zu einer Frühgeburt kommen könnte?

Meist sendet der Körper frühzeitig Signale aus. Zum Beispiel Störungen des allgemeinen Befindens, die viele Schwangere bemerken, aber oftmals nicht deuten können. Eine gute Schwangerenbetreuung könnte helfen, solche Zusammenhänge den Frauen und ihren Partnern deutlich zu machen.

Außerdem können soziale und andere Spannungen zu einer drohenden Früh- oder Fehlgeburt führen. Vorzeitige Wehen sind oft ein Hinweis, dass die Schwangeren unter zuviel Druck stehen. Deshalb sollte man schauen, welches eigentliche Problem hinter den Wehen steckt. Vorzeitige Wehen oder starke schwangerschaftsbezogene Ängste haben individuelle Ursachen und brauchen deshalb immer eine individuelle Lösung. Dazu sind intensive Gespräche notwendig, die Geräte und technische Überwachung nicht ersetzen können.

Verstehen wir die Bedeutung von psychosozialen Faktoren in der Schwangerschaft noch nicht wirklich?

Im Grunde ist die Schwangerschaft ein psychosomatischer Prozess par excellence. Im Gegensatz zur biologischen ist die psychologische Ebene der Schwangerschaft noch wenig erforscht. Deshalb brauchen wir mehr interdisziplinäre Forschung und eine ganzheitliche Betreuung der Schwangeren.

Wie kann man Paare auf solche Zusammenhänge hinweisen, ohne ihnen Angst zu machen?

Das Leben bringt immer die eine oder andere schwierige Situation. Auch in der Schwangerschaft lässt sich das nicht vermeiden. Wichtig ist, nach Lösungen zu suchen. Die Schwangere braucht etwa den Mut, Schonung einzufordern und druckmachende Situationen zu verändern oder zu umgehen. Dann müsste sie nicht mehr den sozial akzeptierten Weg wählen, krank zu werden. Viele gehen unbewusst diesen Weg, weil er weniger Konflikte mit der Umwelt schafft.

Oft unterstützt die Medizin diesen Weg in die Krankheit, indem sie die Schwangeren bei vorzeitigen Wehen ins Krankenhaus bringt und dort Bettruhe verordnet und medikamentöse Wehenhemmer (Tokolyse) einsetzt. Die „verbale Tokolyse“ sollte sich stärker durchsetzen, das heißt, Lösungen sollten durch Gespräche gefunden werden. Im Übrigen hat die Studie gezeigt, ist eine gewisse Ängstlichkeit und Vorsicht der Schwangeren in der Schwangerschaft durchaus nützlich und schützend. Schwangere, die kaum ängstlich sind, haben mehr Frühgeburten als die eher ängstlichen. Irrationale und starke Schwangerschaftsängste wirken sich dagegen meist ungünstig auf den Schwangerschaftsverlauf aus.

Sollte sich auch die gegenwärtige Schwangerenbetreuung ändern?

Die Schwangerschaftsbetreuung darf sich nicht nur körperlichen Befunden zuwenden, sie muss auch die Persönlichkeit und die Lebenssituation der Schwangeren einbeziehen. Zum Beispiel durch Einzel- und Gruppengespräche und Entspannungsverfahren. Schwangerschaftskurse sind oft ein wichtiger Ort für den Austausch mit anderen Schwangeren. Vieles können die Schwangeren untereinander lösen. Allerdings sollte die professionelle Leitung einer solchen Gruppe darauf achten, dass sich mögliche Ängste hier nicht gegenseitig aufschaukeln und sich dann ungünstig auf den Schwangerschaftsverlauf auswirken.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen Berufstätigkeit und Frühgeburtlichkeit?

Beruflicher Stress muss nicht automatisch zu einer Frühgeburt führen. Ausschlaggebend sind eher die mit dem Stress verbundenen Gefühle von Ohnmacht und Kontrollverlust. Wird meine Kompetenz erschüttert, meine Fähigkeit, Probleme zu lösen, in Frage gestellt, können Probleme auftreten.

Privatdozentin Dr. med. Martina Rauchfuß ist Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe sowie für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie. Sie ist Oberärztin an der Medizinischen Klinik für Psychosomatik der Charité in Berlin, Leiterin des Fachbereichs Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Oberhavel Kliniken GmbH und Past-Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Frauenheilkunde und Geburtshilfe (DGPFG). Sie ist Mutter von drei Kindern.

Stand: 15.05.2015