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Interview: „Geburt ist ein archaisches Erlebnis“

Worauf sollten Männer sich bei einer Geburt vorbereiten? Was können sie tun, wenn ihnen danach kritische Momente der Geburt immer wieder durch den Kopf gehen? Sven Hildebrandt, ärztlicher Leiter des Dresdner Geburtshauses, gibt Antworten.

Wie bereitet man sich am besten auf die Geburt vor?

Ich empfehle, einen Geburtsvorbereitungskurs zu besuchen. Das rate ich auch Männern, die nicht mit zur Geburt gehen wollen. In einem Geburtsvorbereitungskurs geht es ja nicht nur um die Geburt selbst, sondern auch um Fragen der Schwangerschaft und nicht zuletzt um die werdende Vaterschaft.

Welche Fragen haben die Männer?

Männer sind von der Schwangerschaft nur mittelbar betroffen und oft nur staunende Zuschauer. Vielleicht sind sie deshalb oft ängstlicher als die Frauen. Viele fürchten sich davor, dass bei der Geburt unvorhergesehene Dinge passieren.

Gibt es im Kurs neben der Hebamme noch einen erfahrenen männlichen Ansprechpartner, tut das den Männern einfach gut. Oft haben sie ganz spezielle Fragen, etwa ob die Scheidenwände nach der Dehnung bei der Geburt wieder normal eng aneinander liegen werden. So etwas fragen sie aber nur ungern eine Hebamme im Beisein der Partnerin. Das geht unter Männern einfacher. Es lohnt sich, nach einem Vorbereitungskurs zu suchen, in dem wenigstens an einem Abend ein in diesen Fragen erfahrener Mann dazukommt.

Was ist die Hauptaufgabe des Mannes während der Geburt?

Er hat weniger eine Aufgabe, sondern ist in erster Linie der Begleiter seiner Partnerin. Er ist aber nicht nur zu ihrer Unterstützung da. Vielmehr erlebt er selbst bei der Geburt seines Kindes einen archaischen Moment.

Ich versuche den Männern stets zu vermitteln, dass sie bei der Geburt keine Rolle erfüllen sollen. Sie begeben sich mit ihrer Partnerin gewissermaßen auf eine gemeinsame Bergtour, die sehr mühsam ist und bei der man zwischendurch auch mal zu verzweifeln droht. Am Ende aber steht ein großartiges gemeinsames Gipfelgefühl. Wenn man seine Partnerin zur Geburt begleitet, hat man vorher zusammen entschieden, die Geburt gemeinsam zu erleben. Das ist das Entscheidende.

Wie erleben Sie Männer im Kreißsaal?

Jeder Mann begleitet seine Partnerin auf seine ganz eigene Weise. Eine Geburt ist neben aller Euphorie eben auch ein seelisch enorm herausforderndes Ereignis, und da haben Männer wie Frauen jeweils unterschiedliche Bewältigungsstrategien.

Die meisten Männer sind bei der Geburt nah bei sich und ihrer Partnerin. Andere flüchten sich etwa in eine unangemessene Heiterkeit und reißen ständig Witze. Einige wenige versuchen, sich den Stress vom Leib zu halten, indem sie aggressiv werden.

Sollte der Mann im Zweifelsfall dann besser den Kreißsaal verlassen?

Jede Hebamme sollte sich zunächst einmal bemühen, den Mann mit seinem persönlichen Stressmanagement zu tolerieren. Er ist nun mal dabei und befindet sich in einer Extremsituation. Aber sie muss die Balance finden zwischen Einfühlung und Grenzziehung.

Glücklicherweise kommt es nur selten vor, dass Männer aggressiv gegenüber der Hebamme werden. Das kann zum massiven Problem für die Geburt werden. In solchen Fällen muss die Hebamme dem Mann dann eine Grenze setzen und ihn notfalls auch hinausschicken. Manchmal gehe ich dann hin und helfe, den Mann vor dem Kreißsaal zu beruhigen.

Was sagen Sie ihm dann?

Ich erkläre ihm, was geschehen ist und was im Kreißsaal gerade passiert. Männer brauchen Transparenz. Sie brauchen eine Vorstellung davon, wie etwas abläuft, und sie wollen mit diesem Bedürfnis ernst genommen werden. Manchmal brauchen sie einfach nur eine kleine Aufgabe während der Geburt. Dann passiert es häufig, dass der Mann gewissermaßen wie verwandelt in den Kreißsaal zurückkehrt und wieder teilnimmt.

Und wenn er während der Geburt in Panik gerät?

In der Situation selbst kann ich versuchen, ihn wie gerade beschrieben zu beruhigen: das Geschehen erklären, transparent machen. Am besten aber spricht man das Thema „Stress und Panik“ schon bei der Geburtsvorbereitung an. Dann kommt es während der Geburt meist gar nicht dazu.

Wie kann das Thema angesprochen werden?

Ich bereite die Männer im Geburtsvorbereitungskurs explizit auf eine spezielle Phase der Geburt vor. Ich meine den Übergang zwischen Ende der Eröffnungsphase, wenn also der Muttermund vollständig geöffnet ist, und der Austreibungsphase.

Diese Übergangsperiode ist oft der heikelste Moment der Geburt, denn viele Frauen verfallen plötzlich in eine merkwürdige Destruktivität. Manche wollen jetzt sterben, sie wollen einen Kaiserschnitt oder einfach wieder nach Hause gehen. Es ist, als müsse die Gebärende den Sprung über einen Abgrund wagen. Sie ist erschöpft, alles tut weh, und sie hat das Gefühl, „wenn ich den Sprung nicht schaffe, stürze ich in die Tiefe…“.

Genau auf diesen Moment muss der Mann vorbereitet sein. Wenn er weiß, dass dieses Verhalten der Frau zur Normalität fast jeder Geburt gehört, kann er damit leichter umgehen und ist besser vor Panik geschützt.

Leichter gesagt als getan.

Stimmt. Aber der Mann muss vertrauen: Die Natur hat den weiblichen Körper auf die Geburt von Kindern eingerichtet. Die Natur will, dass die Geburt gelingt. Ich sage den Männern: Glaubt daran. Panik und Aggressivität dagegen hindern eure Partnerin, der eigenen Kraft zu vertrauen, das Kind heil zur Welt zu bringen.

Kann die Geburt einen Mann auch traumatisieren?

Wenn der Mann bei der Geburt dabei war, sollte die Hebamme ihn in die Nachsorge einbeziehen. Es ist wichtig zu fragen, wie es ihm geht, wie er die Geburt erlebt hat und ob es etwas Kritisches gibt, das ihm von der Geburt nachhängt.

Männer können die Hebamme in der Nachsorge als Ansprechpartnerin nutzen, oder sie wenden sich an andere vertraute Menschen. Hat ein Mann die Geburt traumatisch erlebt, ist es wichtig, ihn wieder ins Gleichgewicht zu bringen.

Woran kann er erkennen, dass ihn das Geburtserlebnis über Gebühr belastet?

Normalerweise löschen Männer ähnlich wie die meisten Frauen die dramatischen Bilder einer Geburt aus ihrer unmittelbaren Erinnerung. Oft erinnern sie sich später so richtig nur an den Moment, als sie das Kind zum ersten Mal in den Armen hielten. Gehen jemandem aber immer wieder kritische Szenen der Geburt durch den Kopf, sollte man unbedingt mit jemandem darüber reden.

Weitere Anzeichen für ein unverarbeitetes Geburtserlebnis oder ein Geburtstrauma ist anhaltende Schlaflosigkeit. Oder wenn sich keine sexuelle Lust mehr einstellen will, wenn die rechte Antriebskraft fehlt und die trüben Gedanken überwiegen.

An wen kann der Mann sich dann wenden?

Im guten Fall kennt die nachsorgende Hebamme geeignete therapeutische Stellen. Anderenfalls kann man sich im Internet informieren, ob es Psychologen oder Psychologinnen in der Nähe gibt, die Erfahrung beispielsweise in Trauma-Therapie haben.

Was sagen Sie einer Frau, deren Partner nicht bei der Geburt dabei sein will, obwohl sie das von ihm erwartet?

Sie sollte bedenken, dass eine Geburt ein urweiblicher Vorgang ist, weshalb die Natur uns Männer nicht entsprechend biologisch ausgestattet hat. Anders die Frauen, die alle Voraussetzungen für eine natürliche Geburt besitzen – bis hin zu den hormonellen Vorgängen, die meist bewirken, dass sie hinterher die Geburtsschmerzen praktisch vergessen und in vielen Fällen bereit sind, das alles für ein weiteres Kind noch einmal auf sich zu nehmen.

Die Gefühle und Erwartungen eines werdenden Vaters sollten vor der Geburt unbedingt gehört werden. Der Frau nützt es ja nichts, wenn der Mann sich während der Geburt vor allem unwohl fühlt. Die Schwangerschaft dauert zehn Monate, die Vaterschaft ein Leben lang. Da sind die Stunden der Geburt sicher nicht die alles entscheidenden.

Sven Hildebrandt ist Mitbegründer der Geburtshaus-, Frauenarzt- und Hebammenpraxis Bühlau sowie ärztlicher Leiter des Geburtshauses. Er ist außerdem Präsident der Dresdner Akademie für individuelle Geburtsbegleitung (DAFIGB), seit 2010 auch Präsident der Internationalen Studiengemeinschaft für pränatale und perinatale Psychologie und Medizin (ISPPM).

Zu dieser Frage gibt es keine eindeutige medizinische Empfehlung. Grundsätzlich ist Geschlechtsverkehr dann wieder möglich, wenn alle Geburtswunden vollständig verheilt sind und beide Partner Lust auf Sex haben.

Die meisten Frauen brauchen einige Wochen oder Monate, bis ihr Körper alle Umstellungen nach der Geburt des Kindes verkraftet hat und sie auch seelisch wieder für die gemeinsame Sexualität offen sind.

Manche Frauen haben nach der Geburt ihres Kindes den Eindruck, ihre Scheide fühle sich im Vergleich zu früher „weiter“ an und sie könnten den Penis ihres Partners deshalb nicht mehr so gut spüren. Manchmal hat auch der Mann eine entsprechende Empfindung. Ob dies zutrifft, hängt neben den subjektiven Gefühlen beim Geschlechtsverkehr auch davon ab, wie gut sich die Beckenbodenmuskulatur der Frau im Laufe der Zeit zurückbildet.

Durch eine Geburt werden die Muskulatur, Bänder und Sehnen der gesamten Beckenregion der Frau enorm gedehnt. Danach wird die Muskulatur der Scheidenwand und des Beckenbodens jedoch wieder fester und kräftiger, sodass sich das alte Körpergefühl meist wieder einstellt. Dieser Prozess lässt sich durch eine gezielte Rückbildungsgymnastik unterstützen. Sie besteht aus Übungen, die helfen, die Muskulatur von Bauch und Beckenboden wieder zu stärken und das Gewebe zu straffen.

Stand: 14.04.2014
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